Was als Flucht aus der Büro-Routine begann, entwickelte sich für Stefan Koller zu einer unerwarteten Karriere als Busfahrer. Mit seinem Auge für die sich wandelnde Stadt hat er seine Berufung gefunden.
Vor 24 Jahren entschied sich Stefan Koller für eine neue berufliche Herausforderung, weg von der Monotonie seines damaligen Büroalltags als Hochbauzeichner. „Damals wusste ich nicht einmal, was für ein ‘Chef’ man vorne in der Busfahrerkabine ist“, erinnert sich der heute 50-Jährige. Bereits während seiner Busfahrerausbildung bei den VBZ entdeckte er seine Begeisterung für das neue Arbeitsumfeld. Die Möglichkeit, draussen zu arbeiten, eine feste Routine zu haben („Man kann sich hinsetzen und es läuft“) und dennoch eine abwechslungsreiche Tätigkeit auszuführen, schätzte er sehr. So wurde ihm sein Beruf auch nach einem knappen Vierteljahrhundert nie langweilig.
Während seines Dienstes beobachtet Stefan Koller aufmerksam die ständigen Veränderungen in der Stadt: „Ein neues Gebäude hier, ein abgerissenes dort.“ Als jemand, der sich immer noch für Architektur interessiert, fasziniert es ihn, die Entwicklung Zürichs aus der Perspektive des Busfahrers zu sehen. „Wenn du mit offenen Augen fährst, gibt es so vieles zu entdecken.“
Doch nicht nur die Stadtansichten machen den Beruf für Stefan Koller besonders. Die Interaktionen mit den Fahrgästen ermöglichen ihm einen Einblick in das Leben der Stadt und ihrer Menschen. Auf der Linie 165, die zum Lindt & Sprüngli Museum in Kilchberg führt, kommt er häufig mit Touristinnen und Touristen aus aller Welt in Kontakt. Meist genügt ein „chocolate factory“ auf Englisch, um den internationalen Fahrgästen zu bestätigen, dass sie im richtigen Bus sind.
Ein prägendes Beispiel für seine Begegnungen war auch ein älterer Herr im Rollstuhl, der ihm regelmässig von der Haltestelle vor einem Alterszentrum an der Nordstrasse zuwinkte. Eines Tages war der Mann nicht mehr da. Koller registrierte das nachdenklich – er wird Zeuge der Geschichten der Menschen, ohne sie wirklich zu kennen.
Stefan Koller sieht im öffentlichen Verkehr eine Möglichkeit für alleinstehende Menschen, sich weniger einsam zu fühlen: Im Bus seien sie unter Leuten. Er empfiehlt, sich auf das Erlebnis „Bus fahren“ einzulassen, denn wer bewusst dabei sei, könne viel aufsaugen und Spannendes erleben. Je voller der Bus, desto mehr Freude bereitet es ihm selbst, ihn zu steuern. „Wir sind ja für die Leute da.“ Anhalten, abfahren, bremsen, Kurvenfahren – alles soll möglichst sanft und sicher geschehen, damit die Fahrgäste ruhig und bequem ihr Ziel erreichen. Wenn es doch einmal hektisch wird, will er sich über die täglichen Herausforderungen im Strassenverkehr nicht nerven. Aufmerksamkeit und frühes Erkennen von Gefahren sei wichtig, aber ebenso Toleranz: „Sonst wachsen einem nur graue Haare.“ So kann er am Abend ohne mentales Gepäck nach Hause gehen und seinen Feierabend geniessen.
Und wie hat sich sein Job in den letzten zwei Jahrzehnten verändert? Der Auftrag sei immer noch der gleiche, sagt Koller: Menschen sicher von A nach B zu transportieren. Das Arbeitsgerät sei im Grossen und Ganzen auch das gleiche geblieben – Pedale, Lenkrad und Knöpfe. Natürlich habe sich die Technik weiterentwickelt. “Neuerdings stehen Gäste, die spät dran sind und noch ein Billett lösen müssen, etwas länger im Türrahmen mit ihrem Smartphone, da das Ticket vor der Abfahrt gelöst werden muss. Der neuste Gag”, lacht er.
Seit fünf Jahren macht Stefan Koller Fahrbegleitung, erklärt neuen Mitarbeitenden das System, die verschiedenen Buslinien, teilt seine Begeisterung für den Job. Er ermutigt die Neuen zum Mitreden, da es ihm wichtig ist, aktiv zur Verbesserung des Betriebs beizutragen. Der Austausch zwischen Fahrpersonal und Verwaltung, die gemeinsame Suche nach Lösungen und eine proaktive Herangehensweise sind für ihn von zentraler Bedeutung. „Ich bin dafür, dass wir Fahrerinnen und Fahrer Feedback geben. Wenn einem etwas nicht passt, bringt es nichts, die Faust im Hosensack zu machen,“ erklärt er seine Einstellung.
Der Fahrplan und die Dienstpläne führen zu den lebhaftesten Diskussionen. Stefan Koller selbst übernimmt viele Morgenschichten und ist als Frühaufsteher oft schon um 4.30 Uhr unterwegs. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich am Morgen im Bus sitze und die Sonne aufgeht. Dieser Moment ist nur für mich.“