Still und leise sorgt das Clean-Team der VBZ an verschiedenen Tram-Endhandstellen für Sauberkeit und Ordnung. Sobald die Fahrgäste ausgestiegen sind, schwirren die Helferinnen und Helfer aus und sammeln ein, was im Fahrzeug liegen geblieben ist: Meist sind es Zeitungen, Flaschen, Taschentücher oder Schirme, manchmal aber auch eine Laptoptasche oder ein Stofftier.
Im Clean-Team arbeiten Asylsuchende, Geflüchtete und Sozialhilfeempfänger*innen, die entweder von der Asylorganisation Zürich (AOZ) vermittelt werden oder im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms der Sozialhilfe angestellt sind. Das Ziel ist es, Menschen in schwierigen Lebenslagen beruflich und sozial (wieder) zu integrieren und ihnen idealerweise den Absprung in den regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
«Das Clean-Team hat mich gerettet»

Nach mehreren Schicksalsschlägen und in einer äusserst belastenden Situation führt 2014 auch Christina Friedrichs Weg zum Clean-Team. «Ich stand finanziell und familiär am Abgrund und wusste nicht, wie es weitergehen soll. Ich musste eine Lösung finden, um mich selbst nicht zu verlieren.» Damals bezog sie Sozialhilfe. Im Clean-Team erhält sie eine Aufgabe, die ihren Alltag strukturiert und die Chance, langsam wieder Boden unter den Füssen zu bekommen. «Das Clean-Team hat mich gerettet. Ohne es wäre ich in meinem Kummer und meinen Sorgen ertrunken.»
Sie spricht ruhig und mit feiner Stimme, als wir uns zum Gespräch in einem Café im Zentrum von Zürich treffen. Vor mir sitzt eine zier
liche Frau, kaum grösser als 1.50 Meter, mit einem sanften Lächeln. «Ich will mein Leben nicht verstecken», sagt sie. «Es ist, wie es ist, und gehört zu mir.» Über die Jahre sei sie jedoch vorsichtiger geworden, wem sie wie viel erzähle, da sie auch schon Ablehnung erfahren habe.
Von der Vorgesetzten gefördert und gefordert
Wenn Christina an ihre Zeit im Clean-Team zurückdenkt, spricht sie vor allem von einer Person: Antonella Leonforte. Die damalige Leiterin nahm sie unter ihre Fittiche. «Sie gab mir Mut und Kraft. Es war mein Glück, dass sie mein Potenzial sah und mich gleichermassen förderte und forderte.» Nachdem Christina erst für die Reinigung der Trams an den Endhaltestellen zuständig ist, holt Antonella sie ins Bekleidungsteam und später ins Büro. Dort lernt sie unter anderem Arbeitseinsätze zu koordinieren und die Administration zu führen.
Fünfeinhalb Jahre arbeitet Christina Friedrich im Clean-Team. In dieser Zeit schreibt sie über 800 Bewerbungen für Stellen im ersten Arbeitsmarkt – ohne Erfolg. «Ich habe es immer und immer wieder versucht, aber es wollte nicht klappen. Das war sehr frustrierend», sagt sie rückblickend.
2019 öffnet sich dann doch ein Türchen. Christina wird von einer Firma für den Unterhalt und die Reinigung von Kaffeeautomaten eingestellt. Darüber, dass sie endlich eine Stelle gefunden habe, sei sie zwar sehr glücklich gewesen. Doch gleichzeitig habe es ihr das Herz gebrochen, das Clean-Team – ihre Familie, wie sie es liebevoll nennt – und die VBZ zu verlassen. Als sich wenige Monate später die Gelegenheit ergibt, zu ihrer ehemaligen Arbeitgeberin zurückzukehren, zögert sie deshalb nicht.
«Geht nicht, gibt es nicht»
Ab 2020 ist Christina bei den VBZ während zweieinhalb Jahren für die Wartung und Jahresreinigung der 846 Ticketautomaten zuständig. Sie putzt sie von aussen und innen, entfernt Kleber und Graffiti und sorgt dafür, dass sie wieder blitzblank sind. Auf ihrer Tour durch die Stadt habe sie viele schöne, aber auch traurige Begegnungen erlebt: «In Schlieren habe ich einmal einen Mann getröstet, der verzweifelt an der Haltestelle sass, weil er seine kranke Ehefrau während der Corona-Pandemie nicht im Spital besuchen durfte», erinnert sich die heute 58-Jährige. Später wechselt Christina Friedrich als Technische Sachbearbeiterin in den Logistik-Innendienst der VBZ.

Ihr Traum, sagt sie, war es jedoch immer, eines Tages die Leitung des Clean-Teams von Antonella Leonforte zu übernehmen. Als Leonforte im Sommer 2024 nach über 20 Jahren bei den VBZ in Pension geht, bewirbt sich Christina auf die vakante Stelle. Doch sie hat das Nachsehen. «Leider hat es nicht ganz gereicht. Das musste ich akzeptieren.»
Als die Position ein Jahr später erneut ausgeschrieben ist, startet Christina einen zweiten Anlauf. «Ich sage immer: ‹Geht nicht, gibt es nicht.› Wenn man etwas wirklich will, kann man es erreichen. Auf meinem Weg gab es Stolpersteine, und nicht alles klappte auf Anhieb. Aber ich habe nie aus den Augen und dem Herzen verloren, was ich will.»
Der Kreis schliesst sich: Vom Teammitglied zur Leiterin des Clean Teams
Als Christina Friedrich kurz darauf erfährt, dass sie die Stelle als Leiterin Clean-Team bekommt, kann sie es kaum fassen: «Ich war überwältigt und auch ein bisschen ungläubig. Dass mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, werde ich wohl erst realisieren, wenn ich im November 2025 tatsächlich starte.»
Wenn sie nun in wenigen Tagen die Leitung des Clean-Teams übernimmt, kehrt sie an den Ort zurück, an dem ihr Leben 2014 eine positive Wende nahm. Darauf, sich bei den VBZ von der Mitarbeiterin bis zur Leiterin hochgearbeitet zu haben, ist sie mächtig stolz. Ihr neues Team lernt sie erst kurz vor ihrem ersten Arbeitstag kennen – und doch sagt sie: «Ich kenne diese Menschen und ihre Schicksale. Ich war selbst eine von ihnen. Jetzt möchte ich ihnen ein Vorbild sein, dass man es schaffen kann.»
Für Christina Friedrich steht fest: Sie will ihre Leute auf dem Weg in ein besseres Leben unterstützen – mit Empathie und klaren Erwartungen. Ihr oberstes Ziel sei, zuzuhören und zu verstehen, was die Mitarbeitenden brauchen. «Ein offenes Ohr ist die beste Medizin», weiss sie aus eigener Erfahrung. Gleichzeitig werde sie auch streng sein und Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit einfordern. «Meine Rolle ist etwas zwischen Psychologin und ‹Tätschmeisterin’», sagt sie schmunzelnd.
Christina ist gekommen, um zu bleiben und hofft, das VBZ-Clean-Team bis zu ihrer Pension führen zu dürfen. «Das wäre ein wunderschöner Abschluss meiner beruflichen Laufbahn», sagt sie. «Und wer weiss: Vielleicht übernimmt dann jemand aus dem heutigen Team meine Nachfolge.»